Die Musterfeststellungsklage: Wie sie funktioniert
Von: Verbraucherzentrale Bayern e.V.
In diesem Beitrag finden Sie
- Gründe für eine Musterfeststellungsklage
- Was ist eine Musterfeststellungsklage?
- Was sind die Vorteile?
- Wann kommt es überhaupt zu einem Musterfeststellungsverfahren?
- Was ist der Gegenstand einer Musterfeststellungsklage?
- Wie ist das Verfahren im Einzelnen ausgestaltet?
- Wie kann die Entscheidung des Gerichts ausfallen?
Gründe für eine Musterfeststellungsklage
Für Verbraucher kann es im Einzelfall sehr schwierig sein, finanzielle Schäden oder Rückzahlungsansprüche gegenüber Unternehmern geltend zu machen. Dabei können diese Ansprüche unterschiedliche Ursachen haben: Produktmängel, unzulässige Preiserhöhungsklauseln oder Bearbeitungsgebühren. Verweigert der Unternehmer die Zahlung, bleibt der Verbraucher häufig auf seinem Schaden sitzen und das Unternehmen, das rechtswidrig gehandelt hat, behält das Geld zu Unrecht ein.
Die Gründe, warum sich die Betroffenen gegen eine individuelle Klage entscheiden, sind vielfältig: Oft ist der Schaden für Einzelne im Verhältnis zum Klagerisiko zu gering, die Beweisführung ist für den Einzelnen schwierig und mit Risiken verbunden, der Zeitaufwand zu hoch. Dies ist besonders ärgerlich, wenn eine Vielzahl von Verbrauchern betroffen ist und es sich um Massenschäden handelt, die durch ein rechtswidrig handelndes Unternehmen verursacht wurden. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber reagiert und die sogenannte Musterfeststellungsklage eingeführt.
Was ist eine Musterfeststellungsklage?
Im Gegensatz zur klassischen Klage, bei der der Verbraucher eigenständig ein Unternehmen verklagt und das volle Prozessrisiko selbst trägt, klagt bei der Musterfeststellungsklage ein Verbraucherverband für alle Verbraucher, die sich durch Eintragung in ein sogenanntes Klageregister an der Klage beteiligen. Mit der Musterfeststellungsklage kann zwar nicht direkt eine Leistung an den Verbraucher erreicht werden, jedoch die Feststellung dass Verbrauchern ein bestimmter Anspruch zusteht. Wird ein positives Ergebnis erzielt, können Verbraucher sich auf das erstrittene Musterfeststellungsurteil berufen. Das bedeutet, dass das Gericht in einem etwaigen Folgeprozess an das Urteil gebunden ist und nicht von den getroffenen Feststellungen abweichen darf, wenn die Verbraucher im Anschluss daran ihre Schadensersatzansprüche selbstständig gegenüber dem beklagten Unternehmen durchsetzen möchten. Dabei müssen sie die Höhe ihres Schadens selbst beziffern und auch selbst nachweisen.
Was sind die Vorteile einer Musterklage?
Die Musterfeststellungsklage hat einige Vorteile für die Beteiligten: Die Klage und der damit verbundene Aufwand werden von einem Verbraucherverband getragen. Damit entfällt das Prozessrisiko und auch das Kostenrisiko des einzelnen Verbrauchers, da dieser nicht direkt verfahrensbeteiligt ist. Verbraucher, die sich wirksam, d.h. frist- und formgerecht in das sogenannte Klageregister eintragen haben lassen, sind zudem vor der Verjährung ihrer Ansprüche geschützt.
Wann kommt es überhaupt zu einem Musterfeststellungsverfahren?
Um Musterfeststellungsklagen in die Wege zu leiten, müssen Verbraucherverbände etwa durch Hinweise und Beschwerden von Geschädigten auf Massenschadensfälle aufmerksam werden. Ihre Hinweise sind also wichtig. Es wird dann genau geprüft, ob eine Musterfeststellungsklage in diesen Fällen in Betracht zu ziehen ist. Wenn der Verband sich für eine Klage entscheidet, werden die Verbraucher über öffentliche Aufrufe auf die angestrebte Klage und die Möglichkeit der Eintragung in das Klageregister aufmerksam gemacht.
Was ist der Gegenstand einer Musterfeststellungsklage?
Mit klassischen Klagen wird meist eine Zahlung oder eine andere Form der Leistung vom Beklagten begehrt. Das Gericht entscheidet dann direkt darüber, ob der Beklagte einen bestimmten Betrag an den Kläger zahlen muss oder nicht. Der Gegenstand der (Muster-)Feststellungsklage hingegen ist ein anderer: so wird vom Gericht die Feststellung begehrt, dass durch einen bestimmten Umstand, den das Unternehmen schuldhaft verursacht hat, ein Schaden auf Verbraucherseite eingetreten ist.
Die Klage ist nicht direkt auf eine Zahlung an den Verbraucher gerichtet, sondern legt dafür nur den Grundstein. Die Parteien können aber einen gerichtlichen und gleichzeitig verfahrensbeendenden Vergleich schließen. Darin kann beispielsweise eine Zahlung an die zu diesem Zeitpunkt eingetragenen Verbraucher vereinbart werden.
Wie ist das Verfahren im Einzelnen ausgestaltet?
Voraussetzung für die Anmeldung einer Musterfeststellungsklage
Die Musterfeststellungsklage kann nur von einem zugelassenen Verbraucherverband eingereicht werden, also beispielsweise von einer Verbraucherzentrale. Voraussetzung hierfür ist, dass der Verband glaubhaft macht, dass zehn in gleicher Weise betroffene Verbraucher Ansprüche gegen das Unternehmen haben, deren Voraussetzungen vom Gericht mit der Musterfeststellungsklage geklärt werden sollen. Einzelne Verbraucher können keine Musterfeststellungsklage erheben.
Das Klageregister
Lässt das Gericht die Musterfeststellungsklage daraufhin zu, wird die Klage in einem sogenannten Klageregister beim Bundesamt für Justiz in Bonn öffentlich bekannt gemacht. Verbraucher haben dann zwei Monate lang bis zum Ende des Tages vor dem ersten Verhandlungstermin Zeit, sich einzutragen und müssen hierfür bestimmte Pflichtangaben und eine Fallschilderung vornehmen. Diese Eintragung ist grundsätzlich kostenlos. Es müssen sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben, damit das Verfahren durchgeführt wird.
Folgen der Anmeldung
Sobald die Klage erhoben ist, sprich dem Beklagten zugestellt wurde, ist die Verjährung der Ansprüche der wirksam eingetragenen Verbraucher gehemmt. Das bedeutet, dass die Ansprüche der eingetragenen Verbraucher während der Zeit des Verfahrens nicht verjähren können. Wer seinen Anspruch zum Klageregister angemeldet hat und die Anmeldung nicht rechtzeitig zurücknimmt, ist an das weitere Verfahren gebunden und kann bis zum Ende des Verfahrens keine eigene Klage gegen das Unternehmen erheben. Die Anmeldung kann nur bis zum Ablauf des ersten Verhandlungstages zurückgenommen werden. Sollten zu diesem Zeitpunkt außergerichtliche Vergleichsangebote unterbreitet werden, ist eine Beratung zu den möglichen Folgen anzuraten.
Das Gerichtsverfahren
Im Anschluss eröffnet das Gericht das Gerichtsverfahren, dessen Ergebnis für im Klageregister eingetragene Verbraucher bindend ist, sofern kein Vergleich geschlossen wird. Vor Gericht stehen sich der Verbraucherverband und das Unternehmen gegenüber. Im Verfahren wird dann der Sachverhalt erörtert und es werden offene Beweisfragen geklärt. So etwa durch Sachverständigengutachten, die im Einzelfall sehr teuer sein können. Die einzelnen Verbraucher sind nicht am Verfahren beteiligt.
Wie kann die Entscheidung des Gerichts ausfallen?
Das Verfahren kann entweder durch einen Vergleich oder durch ein Urteil des Gerichts beendet werden. Beides ist in einem Musterfeststellungsverfahren denkbar:
Vergleich
Ein Vergleich wird meist besonders in Fällen angestrebt, in denen ein schwieriges Verfahren mit ungewissem Ausgang so zu einem – für beide Seiten akzeptablen – Ergebnis geführt werden kann. Wird das Verfahren mit einem Vergleich beendet, wird er allen im Klageregister eingetragenen Verbrauchern zugestellt und diese können selbst entscheiden, ob sie den Vergleich annehmen oder ablehnen möchten. Grundsätzlich gilt: Der Vergleich wird nur wirksam, wenn weniger als 30 % der Verbraucher ihn ablehnen.
Für die Verbraucher, die den Vergleich ablehnen, gilt er als nicht geschlossen. Lehnt ein Verbraucher den Vergleich ab, besteht für diesen weiterhin die Möglichkeit gegen das Unternehmen vorzugehen: Dies muss der ablehnende Verbraucher dann jedoch eigenständig tun. Nimmt der Verbraucher den Vergleich an, so ist dieser für beide Seiten bindend. Eine nochmalige Inanspruchnahme des Unternehmens wegen desselben Lebenssachverhaltes ist dann nicht mehr möglich.
Das Verfahren wird durch Urteil beendet
Wird das Verfahren durch ein Urteil beendet, so wirkt sowohl eine positive als auch eine negative Entscheidung gegen alle im Klageregister eingetragenen Verbraucher und entfaltet Bindungswirkung.
Fällt das Urteil zugunsten der Verbraucher aus, müssen die im Klageregister eingetragenen Verbraucher nunmehr selbstständig ihre Ansprüche auf Grundlage des positiven Urteils an das Unternehmen richten. Denkbar ist die selbstständige Geltendmachung auf Grundlage des Urteils etwa durch außergerichtliche Geltendmachung, durch Beantragung eines Mahnbescheides und gegebenenfalls Klageerhebung oder durch die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. Dabei kann es erforderlich werden, die Höhe des individuellen Anspruchs bzw. Schadens darzulegen und nachzuweisen. Verbraucher sollten daher alle hierfür relevanten Dokumente und Nachweise sorgfältig aufbewahren.
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