Prozessuale Rechtsdurchsetzung bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten
Von: Referat 32 - Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz
In diesem Beitrag finden Sie
- Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen- Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
- Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen - Verordnung (EG) Nr. 805/2004
- Europäisches Mahnverfahren - Verordnung (EG) Nr. 1896/2006
- Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen - Verordnung (EG) Nr. 861/2007
Internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen - Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
Prozessführung im Ausland
Einen Prozess im Ausland führen zu müssen, bedeutet häufig zusätzlichen Aufwand. Darüber hinaus kann von der Frage, welches Gericht mit einem Rechtsstreit befasst wird, auch abhängen, ob in der Sache deutsches oder ausländisches Recht zur Anwendung gelangt. Sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten hat die Frage, in welchem Land der Prozess geführt wird, daher erhebliche Bedeutung.
Einheitliche europäische Zuständigkeitsregelungen
Für den überwiegenden Teil ihrer Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union insoweit mit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 einheitliche Regeln erlassen. Danach sind Personen, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat haben, im Grundsatz unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaats zu verklagen.
Abhängig von der Art des geltend gemachten Anspruchs gibt es jedoch auch Ausnahmen. So werden beispielsweise Verbraucher bei zahlreichen Streitigkeiten mit Unternehmern in besonderer Weise geschützt: Macht der Verbraucher selbst Ansprüche geltend, kann er in den meisten Fällen zwischen den Gerichten seines Wohnsitzstaats und den Gerichten des Staats, in dem der Unternehmer seinen Sitz hat, wählen (Einschränkungen ergeben sich allerdings bei Ansprüchen aus Beförderungsverträgen). Umgekehrt sind für eine Klage des Unternehmers gegen den Verbraucher nur die Gerichte des Staats zuständig, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Ähnliche Sonderregelungen gelten auch für Arbeitnehmer.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen
Daneben verfolgt die Europäische Union mit der Verordnung (EU) Nr.1215/2012 das Ziel, eine Wiederholung gleichgerichteter Prozesse in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten zu vermeiden. Zu diesem Zweck ordnet die Verordnung an, dass Entscheidungen aus einem Mitgliedsstaat in allen übrigen Mitgliedsstaaten anerkannt und vollstreckt werden. Abweichende Regelungen gelten insoweit allerdings für Dänemark.
Konkret bedeutet die in der Verordnung vorgesehene Anerkennung einer Entscheidung, dass diese – ob richtig oder falsch – grundsätzlich nicht mehr überprüft wird und auch durch ein neues gerichtliches Verfahren in einem anderen Mitgliedsstaat nicht umgangen werden kann. Im Ergebnis ist die Anerkennung von Entscheidungen daher Ausdruck gegenseitigen Vertrauens.
Auch für die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung ist seit dem 10. Januar 2015 kein weiteres gerichtliches Verfahren mehr erforderlich. Ein deutscher Verbraucher kann damit beispielsweise unmittelbar aufgrund eines deutschen Urteils Vollstreckungsmaßnahmen gegen einen Internethändler in einem anderen EU-Mitgliedstaat (nach den dort geltenden Regelungen) erwirken.
Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen – Verordnung (EG) Nr. 805/2004
Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen - Verordnung (EG) Nr. 805/2004
Schaffung eines Europäischen Vollstreckungstitels
Für die grenzüberschreitende Durchsetzung unbestrittener Forderungen sieht die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zusätzliche Erleichterungen vor. Voraussetzung ist allerdings, dass der Gläubiger bereits in einem Mitgliedsstaat einen so genannten Vollstreckungstitel erlangt hat. Dabei handelt es sich um ein Urteil oder ein sonstiges Dokument, aufgrund dessen der Gläubiger in diesem Staat die Zwangsvollstreckung betreiben kann. Dieses Dokument kann der Gläubiger sodann in bestimmten Fällen durch das Gericht oder die sonst zuständige Stelle (in Deutschland z. B. für einzelne Dokumente den Notar) als so genannten Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen lassen. Die häufigsten Beispiele sind insoweit Vollstreckungstitel, an deren Errichtung der Schuldner selbst durch die Erteilung seiner Zustimmung mitgewirkt hat (v. a. gerichtliche Vergleiche und vollstreckbare notarielle Urkunden). Daneben kommen aber auch gerichtliche Anerkenntnis- und Versäumnisurteile in Betracht.
Vorteil für den Gläubiger
Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bietet für den Gläubiger den wichtigen Vorteil, dass für die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedsstaat bereits jetzt kein gesondertes gerichtliches Verfahren mehr durchgeführt werden muss. Der Schuldner behält jedoch die Möglichkeit, seinerseits eine gerichtliche Überprüfung des Vollstreckungstitels herbeizuführen. Der Kreis der Einwendungen, die der Schuldner insoweit vorbringen kann, ist jedoch eng begrenzt. Insbesondere genügt es nicht, wenn der Schuldner lediglich vorträgt, dass der zu vollstreckende Anspruch in Wahrheit nicht bestehe. Möglich ist demgegenüber beispielsweise der Einwand, der Schuldner sei an dem im Ausland durchgeführten Verfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt worden und habe somit von vornherein keine Gelegenheit gehabt, sich angemessen zu verteidigen.
Europäisches Mahnverfahren – Verordnung (EG) Nr. 1896/2006
Europäisches Mahnverfahren - Verordnung (EG) Nr. 1896/2006
Alternative zur Klageerhebung
Die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 richtet sich an Gläubiger, die in einem einfachen Verfahren ohne gerichtliche Klage zu einem Vollstreckungstitel gelangen wollen. Der praktisch wichtigste Anwendungsfall dürfte insoweit sein, dass der Gläubiger annimmt, dass der Schuldner sich inhaltlich nicht verteidigen wird und keinen Einspruch einlegt. Wesentliches Merkmal des durch die Verordnung geregelten Verfahrens ist der Erlass eines so genannten Europäischen Zahlungsbefehls, aus dem in Fällen, in denen der Antragsgegner nicht innerhalb einer Frist von dreißig Tagen Einspruch eingelegt hat, in allen Mitgliedsstaaten mit Ausnahme Dänemarks ohne Durchführung eines gesonderten gerichtlichen Verfahrens vollstreckt werden kann.
Zuständigkeit und Verfahren
Für Deutschland ist das Amtsgericht Wedding zentral als zuständiges Mahngericht bestimmt worden. Das Verfahren wird auf der Grundlage eines durch den Antragsteller auszufüllenden Formblatts geführt, das der Verordnung als Anhang beigefügt und in mehreren Sprachen erhältlich ist. Für den Einspruch ist ebenfalls ein Formular vorgesehen, das dem Antragsgegner zusammen mit dem Europäischen Zahlungsbefehl zugestellt wird. Legt der Antragsgegner rechtzeitig Einspruch ein, wird das Verfahren grundsätzlich vor dem Gericht, das den Europäischen Zahlungsbefehl erlassen hat, als normaler Zivilprozess weitergeführt. Der Antragsteller kann jedoch auch ausdrücklich beantragen, dass das Verfahren im Falle eines rechtzeitig eingelegten Einspruchs beendet werden soll. Auf diese Weise kann er das für ihn bestehende Kostenrisiko wirksam begrenzen. Nähere Informationen finden Sie unter https://service.berlin.de/dienstleistung/327380/.
Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen – Verordnung (EG) Nr. 861/2007
Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen - Verordnung (EG) Nr. 861/2007
Anwendungsbereich
Für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Ansprüchen, deren Wert EUR 5.000 nicht überschreitet, bietet das in der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 geregelte Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen eine attraktive Alternative zur Erhebung einer regulären Klage. Zinsen, Kosten und Auslagen bleiben bei der Wertberechnung unberücksichtigt.
Ablauf
Das Verfahren wird auf der Grundlage der Verordnung beigefügter, in mehreren Sprachen erhältlicher Formblätter durchgeführt und ist in besonderer Weise auf einen schnellen und kostengünstigen Abschluss ausgerichtet. Zuständig ist im Regelfall das Amtsgericht, bei Verbraucherverträgen kann sich der klagende Verbraucher in den meisten Fällen an das für seinen Wohnort zuständige Amtsgericht wenden. Hinsichtlich des generellen Ablaufs ähnelt es einem normalen Zivilprozess, wobei aufgrund des grenzüberschreitenden Prozessverhältnisses verstärkt die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln und Videoübertragungen vorgesehen ist. Insbesondere gilt ebenso wie im nationalen deutschen Prozessrecht der Grundsatz, dass die Kosten des Verfahrens der unterliegenden Partei zur Last fallen. Die Höhe der Kosten können die Parteien maßgeblich selbst beeinflussen, in dem sie zum Beispiel auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten. Auf diese Weise können erhebliche Reisekosten eingespart werden.
Rechtsmittel
Ob gegen ein im Rahmen eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, ist je nach Mitgliedsstaat unterschiedlich. Gegen ein Urteil eines deutschen Gerichts ist beispielsweise die Berufung zulässig, wenn die jeweilige Partei mit einem Betrag von mehr als EUR 600 unterlegen ist oder das Gericht die Berufung im Urteil zugelassen hat. Ist keine Berufung möglich, kommt wegen bestimmter besonders schwerwiegender Fehler eine so genannte Anhörungsrüge in Betracht. Über diese entscheidet sodann dasselbe Gericht, das auch das angegriffene Urteil erlassen hat. Informationen über die Rechtslage in anderen Mitgliedsstaaten können über das Justizportal der Europäischen Kommission abgerufen werden.
- Die Texte der einzelnen Verordnungen können unter https://e-justice.europa.eu/content_european_judicial_atlas_in_civil_matters-321-de.do in allen Amtssprachen der Europäischen Union abgerufen werden.
- Prozessuale Rechtsdurchsetzung in Deutschland
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