Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge
Geschäfte, die ein Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen abschließt, können widerrufen werden. Diese Durchbrechung des Grundsatzes "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) rechtfertigt sich durch einen Überrumpelungsschutz. Der Verbraucher soll davor geschützt werden, unter Druck oder überraschend einen bindenden Vertrag abzuschließen.
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Begriff des Direktvertriebs
Schon seit sehr langer Zeit besteht im Handel die Erkenntnis, dass sich Waren schneller "an den Mann" bringen lassen, wenn man den Verbraucher selbst aufsucht und nicht wartet, bis er zu einem kommt.
Im Gegensatz zum normalen Ladengeschäft geht die Initiative zur Aufnahme eines Geschäftskontaktes also nicht vom Verbraucher, sondern vom Händler aus. Man bezeichnet diese Absatzform als Direktvertrieb oder Direktmarketing. Der Anbieter bedient sich hierfür mehr oder weniger seriöser Hilfskräfte (z. B. Außendienstmitarbeiter, Vertreter oder Drückerkolonnen).
Die Vertragsanbahnung und meist auch der Vertragsschluss erfolgen nicht in Geschäftsräumen des Anbieters sondern an Haus- und Wohnungstüren, auf der Straße, auf Partys und Reisen (z.B. so genannte Kaffeefahrten), in Verkehrsmitteln oder Hotels.
Gefahren
Unerfahrene Verbraucher erleiden hierdurch leicht Nachteile, weil sie vom Auftreten des Anbieters überrascht werden und nicht auf Vertragsverhandlungen eingestellt sind.
Es besteht auch keine Möglichkeit, in einer solchen Situation einen Preis-/Leistungsvergleich durchzuführen.
Zeit zum Überlegen bleibt meist nicht und die Möglichkeit, dem Verkaufsgespräch zu entfliehen, besteht häufig ebenfalls nicht.
Der Direktvertrieb birgt die Gefahr in sich, dass minderwertige oder gar nicht existenzberechtigte Waren, für die kein Bedarf besteht, an einen überraschten Verbraucher verkauft werden.
Entwicklung des Verbraucherschutzes beim Direktvertrieb
Schon früh erkannten die Gerichte, dass der Verbraucher beim Direktvertrieb besonders zu schützen ist. Der Bundesgerichtshof nahm mangels eines Spezialgesetzes eine Überprüfung solcher Geschäftsgestaltungen über das Wettbewerbsrecht vor. Hierdurch konnten bestimmte Verträge für sittenwidrig und somit nichtig erklärt werden.
Mit der 2. Novelle zum Abzahlungsgesetz wurde im Jahre 1974 ein Widerrufsrecht eingeführt. Aufgrund politischer Kontroversen dauerte es aber noch 12 Jahre, bis am 01.05.1986 auf eine Initiative des Freistaates Bayern hin das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, kurz Haustürwiderrufsgesetz (HTWG) in Kraft treten konnte. Dieses wurde mehrfach geändert, insbesondere durch die Schaffung des Fernabsatzgesetzes. Das HTWG wurde später abgeschafft und mit der Schuldrechtsreform zum 01.01.2002 in das BGB integriert worden (§§ 312, 312a, 312f BGB).
Mit Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie zum 13.06.2014 führte der Gesetzgeber weitere wesentliche Änderungen im Widerrufsrecht ein. Der Begriff „Haustürgeschäft“ wurde erweitert, so dass man nun von „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“ (kurz: Außergeschäftsraumverträgen) spricht. Hiermit soll eine Abgrenzung zu Verträgen, die im stationären Handel oder als Fernabsatzverträge geschlossen werden, erfolgen. Der Begriff lässt erkennen, dass der Schutzbereich etwas erweitert wurde.
Je nachdem, wann ein Vertrag abgeschlossen wurde, sind somit unterschiedliche Rechtslagen zu beachten. Hier wird nur die aktuelle Rechtslage wiedergegeben, die für Vertragsabschlüsse seit dem 13.06.2014 gilt.
Voraussetzungen
und Rechtsfolge
Die Voraussetzungen des so genannten Außergeschäftsraumvertrages ergeben sich aus § 312b ff. BGB.
- Entscheidend ist zunächst, dass es sich um einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer handelt.
- Dabei verpflichtet sich der Unternehmer zu einer entgeltlichen Leistung Der Verbraucher muss Gegenleistung erbringen, die aber nicht unbedingt in einer Geldleistung besteht. Möglicherweise kann auch die Preisgabe von Daten als Gegenleistung bewertet werden.
- Der Vertrag muss außerhalb von dem Geschäftsraum des Unternehmers geschlossen worden sein.
Was fällt unter den Begriff „Geschäftsräume“?
Der Begriff „Geschäftsräume“ ist in § 312b Abs. 2 BGB legal definiert. Unter „Geschäftsräume“ versteht man unbewegliche Gewerberäume, in denen ein Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt oder aber bewegliche Gewerberäume, in denen er seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.
Unter den Begriff "Geschäftsräume" fallen also nicht nur Ladengeschäfte, sondern auch Stände, Verkaufswägen oder Verkaufsstätten, die nur saisonal betrieben werden. So werden zum Beispiel Stände, die während der Urlaubssaison an einen Ski- oder Badeort aufgestellt werden, regelmäßig als Geschäftsräume einzustufen sein.
Der Stand eines fliegenden Händlers, der nur gelegentlich an einer bestimmten Stelle zu finden ist, wird nicht als Geschäftsraum einzustufen sein, mit der Folge, dass ein mit diesem geschlossener Kaufvertrag widerrufen werden kann. Ob der Händler wieder aufgefunden werden kann, steht auf einem anderen Blatt.
Ein nur für kurze Zeit angemietetes Ladenlokal erfüllt das Kriterium „für gewöhnlich“ nicht. Somit unterfallen die sogenannten "Kaffeefahrten", die zumeist in angemieteten Gaststätten stattfinden, auch weiterhin dem Widerrufsrecht.
Ein Stand auf einer Messe oder Ausstellung wiederum wird das Kriterium des Geschäftsraums erfüllen (Messekauf). Anders kann dies liegen, wenn der Unternehmer in diesem Rahmen fachfremde Waren oder Dienstleistungen anbietet. Früher wurde das Bestehen eines Widerrufrechts bei einem Messekauf grundsätzlich abgelehnt. Der EuGH hat inzwischen aber entschieden, dass ein Widerrufsrecht unter bestimmten Voraussetzungen bestehen kann. Dies ist jedoch vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Abzustellen ist hier auf die Wahrnehmung des Durchschnittverbrauchers.
§ 312b BGB nennt konkrete Fallgestaltungen, in denen von einem Außergeschäftsraumvertrag auszugehen ist.
- Der Vertrag wird an einem Ort geschlossen, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Sowohl Unternehmer als auch Verbraucher müssen hierbei gleichzeitig körperlich anwesend sein.
- Der Verbraucher gibt in der unter Nr. 1 beschriebenen Situation ein Angebot ab. Ein Außergeschäftsraum liegt also auch dann vor, wenn der Unternehmer das Angebot erst später in seinen Geschäftsräumen annimmt.
- Der Verbraucher wurde in der unter Nr. 1 geschilderten Situation werbemäßig angesprochen, der Vertragsschluss findet aber in den Geschäftsräumen oder über Fernabsatz statt. Der Vertragsschluss muss unmittelbar danach erfolgen. Auch hier wirkt die „Überrumpelung“ noch fort, so dass der Verbraucher auch in dieser Situation geschützt werden soll. Hier wird jedoch sicherlich darauf zu achten sein, dass von einem kurzen Zeitraum bis zum Vertragsschluss ausgegangen werden muss.
- Der Vertrag wird auf einem Ausflug geschlossen, der von einem Unternehmer eigens organisiert wurde, um in dessen Rahmen Waren zu verkaufen (so genannte "Kaffeefahrt").
Rechtsfolge: Widerrufsrecht
Liegen die Voraussetzungen für einen Außergeschäftsraumvertrag vor, so steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu.
Ausnahmen: kein Widerrufsrecht
Ein Widerrufsrecht besteht beispiesweise nicht, wenn die Leistung durch den Unternehmer sofort erbracht wird und der Verbraucher diese sofort bezahlt UND das zu zahlende Entgelt 40 Euro nicht übersteigt.
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